Er hörte sich selbst seufzen Das erste Tageslicht schwebte von Osten heran dann begannen zaghaft Vögel zu singen Ein Lichtfleck glitt durch das Zimmer und legte sich auf Nadines Ge sicht So kam es ihm zumindest vor Heute würde er nicht ins Präsidium gehen auf keinen Fall Gegen acht würde er Nele ihre Assistentin anrufen und einen Tag Urlaub nehmen Dann würde er Nadine zum Frühstücken einladen In einem der teuersten Hotels der Stadt im Gerling Viertel auf einer Terrasse mit Blick auf den Dom Er sah auf die Uhr es war mitt lerweile zehn Minuten vor fünf Zwei Stunden würde er noch neben Nadine schlafen können Sein Smartphone war auf stumm geschaltet Trotzdem bemerkte er sofort dass ihn jemand anrief Birte Jessen leuchtete auf dem Display auf Nein dachte er so telepathisch kann unsere Verbindung nicht sein dass sie weiß dass ich hier seit Stunden vor dem Fenster hocke und den Mond anstarre Sorry dass ich deinen Schönheits schlaf störe sagte sie mit noch schläf riger Stimme und er wusste sofort dass sie einen ganz bestimmten Grund hatte warum sie anrief Wo fragte er leise um Nadine nicht zu wecken Wo ist ein Toter ge funden worden 2 So hatte sie Max noch nie erlebt schweigsam und in sich gekehrt Er re dete nur das Nötigste und neuerdings ging er auch wieder in seine winzige Wohnung am Ubierring Neulich hatte er sogar zwei Nächte dort verbracht was in den letzten Monaten nicht mehr vorgekommen war Sie kannte den Grund Sein Buch war erschienen mit großen Hoffnungen doch nun inter essierte sich niemand dafür Max hatte einen Roman über den 3 März 2009 verfasst den historischen Tag an dem das Stadtarchiv in Köln eingestürzt war Drei Jahre hatte er daran recherchiert und geschrieben Erzählstimmen aus probiert und verworfen Der Roman war ein Panorama dieses einzigartigen Tages eine Perspektive gehörte dem Jungen einem Bäckerlehrling der im Nachbarhaus das ebenfalls eingestürzt war zu Tode gekommen war Birte war sehr beeindruckt gewesen als sie das Buch gelesen hatte Doch nun war es endlich gedruckt und veröffentlicht worden und es passierte nichts Zwei Journalisten hatten Max inter viewt von denen einer das Buch gar nicht gelesen hatte und eine Lesung hatte stattgefunden Max war viel zu nervös gewesen und daher hatte er auch nicht gut gelesen Achtzehn Besu cher waren in die Buchhandlung an der Neusser Straße gekommen zwölf von ihnen hatten Eintritt bezahlt Am Ende der Veranstaltung hatte die Buchhänd lerin ihn mit ein paar knappen Worten verabschiedet Nächste Woche rufe ich in der Agentur an hatte Max am Abend gesagt Ich steige wieder als Fahrrad kurier ein Ein richtiger Schriftsteller bin ich wohl nicht Sie hatte versucht ihn zu trösten die richtigen Worte zu finden Warte ab Vielleicht fehlt nur die eine große Rezension im Stadt Anzeiger Die hat es schon gegeben ant wortete er Im hintersten Lokalteil zehn Zeilen Eine knappe Inhaltsan gabe Die Lektorin in seinem Verlag in Berlin die die Rechte des Buches einge kauft hatte stellte sich taub Sie sei auf Dienstreise hatte man Max geantwor tet Er hatte sich die Prothese abge schnallt und war ins Bett gegangen Als er auf einem Rennrad für einen Triathlon trainiert hatte war er von einem Lastwagen angefahren worden man hatte ihm den rechten Unter schenkel amputieren müssen Damit war der Traum zerplatzt einmal am Ironman Wettkampf auf Hawaii teilzu nehmen Das Desinteresse an seinem Buch empfand er nun als zweite große Niederlage Der Mond schien hell ins Zimmer Birte konnte nicht schlafen Schreib ein neues Buch hatte sie zu Max gesagt aber damit hatte sie offenbar einen wunden Punkt getrof fen Er war wütend geworden Ob sie nicht wisse wie viel Zeit und Mühe und Gedankenarbeit ihn der erste Roman gekostet habe Schreib über dich hätte sie ihm am liebsten gesagt wie es ist ein Bein zu verlieren aus dem Olymp eines erfolg reichen Sportlers hinabzustürzen in die Hölle eines Behinderten Ich habe es schon versucht hatte er geflüstert bevor er eingeschlafen war Ich wollte über mein Bein schrei ben das es nicht mehr gibt Mein Bein ist tot es ist schon im Himmel nur ich bin noch da Es hatte geklungen als hätte ein zehnjähriger Junge diese Worte gespro chen kein Mann von achtunddreißig Jahren der nun wieder Fahrradkurier werden wollte Sie küsste ihn auf die Wange und drückte sich an ihn doch irgendwie offenbar aus einem Instinkt heraus rückte er von ihr ab Dann hörte sie ihn leise schnarchen und wurde sogar ein wenig wütend auf ihn Nun hatte er seinen Frust auf sie ab geladen und schlief friedlich während sich in ihrem Kopf ein Gedankenkarus sell drehte Damit würde Max bestimmt nicht zufrieden sein wieder durch die Stadt zu kurven um dringende Sendungen auszufahren Nur Essen hatte er gesagt so etwas kommt für mich nicht in Frage dass ich Sushi oder Nudelsuppe ausfahre Und sie Die letzten Jahre bei der Kölner Polizei wa ren anstrengend gewesen Eigentlich hatte sie nur eine kurze Auszeit von Hamburg nehmen wollen nachdem Martin ihr Lebensgefährte der Gei genbauer von Sankt Pauli gestorben war Aber irgendwie war sie in dieser seltsamen Stadt gestrandet wo alles ein wenig anders gehandhabt wurde hier ging es kleinbürgerlich anarchisch zu Die Stadt war hässlich hatte aber wie es so hieß ein paar schöne Ecken 3534

Vorschau GMKG Magazin 2023 Seite 35
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