Stoff gewebt gewesen waren sie nur notdürftig bedeckten Dabei verlor sie einen Holzschuh Barfuß setzte sie ihre Flucht fort Im Scheunentor keine zwanzig Schritt hinter ihr tauchte ein Mann auf Er trug eine abgewetzte dunkelbraune Redingote Ein krauser ungepflegter Bart beschattete sein Gesicht das im Dunkel des Tores kaum zu erkennen war Der Dreispitz auf seinem Kopf war mit einem Federbusch verziert dessen Rot kräftig leuchtete Kaum war er im Tor aufgetaucht richtete er den Lauf seines Gewehrs auf die Fliehende Ebenso schnell erfolgte der Schuss Sein Knall hallte weit durch das Tal Selbst für ungeübte Schützen wäre die junge Frau ein leichtes Ziel gewe sen Es blieb ihr keine Gelegenheit Schutz zu suchen Die Kugel bohrte sich in ihren Rücken Die Wucht des Schusses ließ sie herumwirbeln als risse eine unbekannte Macht mit aller Gewalt an ihr Erneut stürzte sie in den Schnee Dieses Mal stand sie nicht wie der auf Der Mann mit dem Federbusch spuckte verächtlich aus dann ver schwand er wieder im Dunkel der Scheune Henrik Freiherr van Venray Amtmann für policeyliche Wohlfahrterei im Dienst des bergischen Herzogs ließ das Fern rohr sinken Kaum konnte er glauben was er gerade mitansehen musste Vie lerlei Verbrechen hatte er in den langen Jahren als Amtmann erlebt doch dieser feige Mord kam einer Hinrichtung gleich Bis auf den Knall des Gewehrs war es lautlos und schnell vonstatten gegangen Das Weinen und Wimmern der jungen Magd hatte Venray in der Vergrößerung des Fernrohrs nur erah nen können Wütend legte er seine Muskete an Doch anstatt zu schießen besann er sich eines Besseren und löste langsam den Zeigefinger vom Abzug Schließlich legte er das Gewehr ganz beiseite Auf die Entfernung hätte er keinen Treffer erzielt Außerdem hätte es dem Mann mit dem Federbusch seine Position und darüber hinaus die Anwesenheit der Policey verraten Wir sehen uns noch presste Venray zwischen den Zähnen hervor Grimmig biss er aufs Mundstück seiner Pfeife und drehte sich auf den Rük ken Er lag hinter einer Schneewehe verborgen auf einer Anhöhe im Wald oberhalb des Weilers den er mit sei nen Männern umstellt hatte und sah in die blätterlosen Bäume über sich Die dürren Äste griffen in den matten wolkenverhangenen Himmel über dem Oberbergischen Land Er blickte den Schwaden seines Atems hinterher Zur Ruhe kam er nicht Das Bild der ermor deten Magd würde er sein Lebtag nicht mehr vergessen Was ging nur in solchen Menschen vor Was trieb Verbrecher an Warum hatte der Federbusch einer davonlau fenden wehrlosen Frau in den Rücken geschossen Welche unvorstellbar schlimme Tat müsste die junge Frau zuvor begangen haben um diesen Schuss auch nur im Ansatz zu recht fertigen Venray versuchte sich in die Gedankenwelt des Mörders zu verset zen seine Beweggründe zu erforschen die Hintergründe die ihn zu dieser Tat angetrieben haben könnten und stell te einmal mehr fest dass es ihm nicht möglich war Er war nicht willens Er sah nur Feigheit und unnötige Brutali tät darin Und dagegen war er macht los Aber er konnte etwas anderes tun Entschlossen drehte sich Venray wieder auf den Bauch spähte über den Rand der Wehe und betrachtete den unterhalb liegenden Bauernhof um sich alles gut einzuprägen Auf der ge genüberliegenden nördlichen Seite des Tals floss ein Bach der Dhünn genannt wurde Aufgrund des Schnees sah man das Gewässer nicht Es gab das Gutshaus eine mehrstöckige große Wohnscheune zwei kleinere Scheunen und Lager ein Gebäude am Fluss das eine Mühle sein konnte sowie ein klei nes Wohnhaus Der Weiler mit seinen im Tal verstreuten Gebäuden sah an sich friedlich aus Läge nicht mitten auf dem Hof eine halb nackte Frauenlei che von deren Ermordung er Venray soeben Zeuge geworden war Eine unbekannte Anzahl marodie render Soldaten und anderes Gesindel hatten sich zu einer Räuberbande zu sammengeschlossen Seit Wochen zo gen sie raubend und mordend durchs Bergische Land Diese und andere sinnlose Gewalttaten mussten ein Ende haben deshalb war Venray hier Außer dem wurde es ihm in der Amtsstube oftmals einfach zu eng Fast zwei Klafter weit rutschte er die Schneewehe hinunter und stand kurz darauf zwischen seiner fünfzehn köpfigen Policeytruppe Eine Schar aus Landreitern Vögten Bütteln und ande ren Ordnungskräften die er für diesen Einsatz rekrutiert hatte Bis auf seine Landreiter wirkten die übrigen Männer die alle aus der Umgebung kamen nervös Gewaltverbrecher zu stellen die im Weiler die Gegend unsicher machten war sonst nicht ihre Aufgabe Dabei sah manch einer genauso hin terhältig und durchtrieben aus wie die Marco Hasenkopf Geboren 1973 in Hamm West falen studierte Archäologie und war viele Jahre als Drehbuchautor für Theater und Filmproduktio nen tätig Er ist Preisträger des Kurt Hackenberg Preises für politisches Theater und lebt heute als freischaffender Schriftsteller und Theaterproduzent mit seiner Familie in Köln 85

Vorschau GMKG Magazin 2022 Seite 85
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